Wie ein überdrehter Sportkommentator begleitete dabei ein innerer Monolog jeden meiner Schritte:
„Jetzt hast du den Dreh raus! Schon 6 Aufträge diese Woche und noch mehrere heiße Eisen im Feuer. Wenn du so weitermachst, knackst du den Firmenrekord! Kein Wunder, du bist eben ein super Verkäufer. Auf dich wartet eine glänzende Zukunft!“
Auch das Schulterklopfen der Kollegen, die Ehrung als „Top-Verkäufer der Woche“ und die Bewunderung meiner Freunde trugen dazu bei, dass ich den plötzlichen Erfolg nicht auf die Umstände sondern auf meine erwachende Genialität als Verkäufer zurückführte.
Zwischen den Kundenterminen nahm ich zum hundersten Mal den Taschenrechner zur Hand um die neuesten Hochrechnungen anzustellen und meine Erfolge in die Zukunft zu skalieren. Aus einer erfolgreichen Woche errechnete ich mir die Provisionen eines zu erwartenden Rekordmonats und berauschte mich an den Zahlen.
Doch es sollte anders kommen. Nach der Rekordwoche folgte - so selbstverständlich wie Regen auf Sonnenschein - eine umsatzschwächere Phase, in der die Besuchsfrequenz einbrach und die Umsätze schwächelten. Ganz normale „saisonale Verkaufsschwankungen“ eben.
Was für alte Hasen im Verkauf vollkommen normal ist, traf mich als selbsternanntes Verkaufsgenie auf dem falschen Fuß.
Wie auf einer emotionalen Achterbahn war ich während meiner Rekordwoche in halsbrecherischem Tempo dem Himmel entgegengerast, hatte staunend den Boden unter den Füßen verloren und für den Bruchteil einer Sekunde am höchsten Punkt die Ahnung der Schwerelosigkeit erlebt. Nun wendete sich das Blatt, die Schwerkraft forderte unerbittlich Tribut und der Boden der Tatsachen raste auf mich zu.
Als ich als „Topverkäufer der Woche“ plötzlich nur noch die Hälfte des Umsatzes erzielte, stürzte mein selbstgebasteltes Idealbild ein wie ein Kartenhaus. Die Euphorie wurde von ungläubigem Staunen abgelöst, dann folgte Angst, schließlich Panik.
Angesichts meiner moderaten Verkaufsergebnisse erlag ich sogar kurzzeitig der Illusion, mein Verkaufsleitfaden sei irgendwie kaputtgegangen oder die Kunden hätten sich gegen mich verschworen.
Mein innerer „Sportkommentator“, dessen schmeichelhaften Komplimenten ich nur zu gerne Glauben geschenkt hatte, wandte sich nun gegen mich und zählte mich an wie einen zu Boden gegangenen Boxer: „Hast du dir wirklich eingebildet ein Top-Verkäufer zu sein? Deine Leistung ist unter jeder Kritik. Verkauf ist wohl nichts für dich, vergiss es und such dir was anderes!“
Gleichzeitig konnte ich die Finger nicht vom Taschenrechner lassen, skalierte mein schwaches Wochenergebnis in die Zukunft und schockte mich stündlich mit Horrorzahlen und Armutsszenarien.
Was ich als junger Verkäufer wie eine emotionale Nahtoderfahrung erlebte, war rückblickend betrachtet nichts weiter als die heilsame Korrektur eines überhöhten Selbstbilds.
Die ganze Aufregung entpuppte sich als Lärm um Nichts. Auf Regen folgte Sonnenschein. Die Verkaufszahlen normalisierten sich und ich hatte ein respektables Monatsergebnis erzielt. Doch um welchen Preis! Der energetische Aufwand meiner emotionalen Achterbahnfahrt war enorm gewesen und hätte mich damals fast zum Aufgeben bewogen.
In den fast 20 Jahren seither habe ich als Verkäufer und Unternehmer viele Verkaufszyklen durchlebt und bin noch so manches Mal unfreiwillig in die emotionale Achterbahn aus Illusion und Enttäuschung, aus Hoffnung und Angst eingestiegen.
Wenn nun also die Sommerflaute beginnt, Ihre Verkaufszahlen einbrechen und Sie (wie jedes Jahr?) das Gefühl beschleicht, den Boden unter den Füßen zu verlieren, kann ich Ihnen nur eines raten:
Raus aus der emotionalen Achterbahn! Werfen Sie Ihren Taschenrechner weg, schicken Sie Ihren Sportkommentator in die Sommerpause und nutzen Sie die wohlverdiente Ruhe um für sich und Ihre Kunden Kraft zu tanken.