Mit geschlossenen Augen ließ ich das letzte Monat Revue passieren. Der blanke Horror! Zu hohe Kosten, zu wenige Aufträge, schlaflose Nächte voller Wut und Angst. Ich konnte mich der Erkenntnis nicht länger entziehen, dass ich kurz davor war, mein Unternehmen an die Wand zu fahren. Die letzte Nacht wieder stundenlang wach gelegen und jetzt gleich der nächste Verkaufstermin. „Wenn der nicht erfolgreich ist...“, ratterte die innere Stimme in meinem Kopf erbarmungslos, ...dann kannst Du ja gleich zusperren. So wie du momentan drauf bist, kauft dir sowieso niemand etwas ab.“
Als ich vor zwei Jahren meine Firma gegründet hatte, standen noch alle Zeichen auf grün. Das Konzept war stimmig, der Verkauf machte mir Spaß und es war mir leicht gefallen Kunden zu gewinnen. Fast täglich war ich im Außendienst unterwegs und besuchte Unternehmer um sie für unsere Recruiting-Leistungen zu begeistern. Alles lief rund und ich hatte das Gefühl in eine erfolgreiche Zukunft zu steuern. In Erwartung kommender Aufträge nahm ich Mitarbeiter auf, verteilte die Aufgaben im Unternehmen und begann, mich in der Rolle des Chefs einzurichten. Dabei verlor ich langsam aber sicher den Kontakt zu meinen Kunden: Für die Neukundenakquise war ein Außendienstmitarbeiter zuständig, für die laufende Betreuung gab es Projektleiter. Meine Aufgabe war...naja, die Führung meiner Mitarbeiter und die Arbeit an der Vision des Unternehmens.
Ich entwickelte ausführliche Zehnjahrespläne, die unter anderem die Marktführerschaft in Europa vorsahen, verwickelte mich in Zahlenspiele und immer neue Umsatzprognosen. Reichlich spät bemerkte ich, dass uns langsam aber sicher die Aufträge abhandenkamen. Und noch etwas geschah. Ich verlor die Freude an meinem Unternehmen. Je größer die Visionen, desto weniger füllten sie mich aus. Je prozess-optimierter die Arbeit, desto weniger hatte ich das Gefühl, dabei Sinnvolles zu leisten. Das was mich ursprünglich angetrieben und glücklich gemacht hatte - ein Anliegen, eine Mission - fehlte mir jetzt. Nur was war es, was am Weg verloren gegangen war?
Das schrille Alarmsignal meines Handys riss mich gnadenlos aus meinen Erinnerungen. Fünf Minuten bis zum Kundentermin. Wo ist die Verkaufsmappe? Noch schnell die Unterlagen gecheckt, Kontrollblick im Spiegel und raus aus dem Auto in einen windigen Aprilmorgen. Die Dame am Empfang musterte mich skeptisch. Kein Wunder. Rote Augen, fahle Gesichtsfarbe, das Gesicht von Sorgen gezeichnet. „Herr Bader wird gleich eintreffen, bitte warten Sie hier!“
Während ich im Vorzimmer auf Herrn Bader wartete, versuchte ich ohne Erfolg meine depressiven Gedanken zu verscheuchen. Da erinnerte ich mich an den saublöden Trick mit dem Stift aus irgendeinem Verkaufstraining: „Wenn Sie vor einem Termin schlecht drauf sind, nehmen Sie einfach einen Stift zwischen die Zähne und achten Sie darauf, dass Sie ihn nicht mit den Lippen berühren. Dadurch lächeln Sie und Ihre Stimmung bessert sich.“ Auf Anhieb fielen mir mehrere Leute ein, die ich zwischen die Zähne nehmen wollte...und tatsächlich, meine Stimmung hob sich.
„Ah Herr Mayer!“, begrüßte mich ein Mann mittleren Alters, der Herr Bader sein musste. „Haben Sie gut hergefunden?“ Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er mir die schlaflose Nacht ansah. Und noch etwas – Verständnis. In seinem Büro nahmen wir zwischen Aktenbergen und technischen Modellen Platz. „Nun Herr Mayer, am Telefon haben Sie mir erzählt, dass Sie so etwas wie ein Recruiting-Spezialist für Unternehmer sind, die Außendienstmitarbeiter suchen. Was können Sie für uns tun?“
„Ja, äh...genau das möchte ich mit Ihnen gemeinsam herausfinden. Erzählen Sie mir von Ihrem Unternehmen. Was hat Sie damals zur Gründung bewogen?“
Erstaunt hob Herr Bader eine Augenbraue, zögerte kurz und begann zu erzählen...
Vom ersten Moment unserer Begegnung an regte sich in mir die Neugier wie ein Tiger im Käfig: Wer war dieser Mann, der sein Unternehmen nun schon seit 30 Jahren führte? Was trieb ihn an? Welche Anliegen verfolgte er? Was hatte er in den nächsten Jahren vor? Fragen über Fragen kamen mir in den Sinn und während ich sie der Reihe nach stellte, erwachten meine Lebensgeister. Unwillkürlich richtete ich mich auf, meine Stimme wurde fest und aus mir sprach nicht mehr Müdigkeit, sondern authentisches Interesse an diesem Herrn Bader und seinem Unternehmen.
Je länger das Gespräch dauerte, desto stärker wuchs in mir die Gewissheit, diesem Unternehmer durch unser Außendienst-Recruiting helfen zu können und die Vorfreude darauf, mit meiner Arbeit einen Beitrag zu leisten, dass sich sein Unternehmen erfolgreich entwickelte. So erstaunlich es klingt. Während mir meine eigenen Zukunftspläne um die Ohren flogen und mein Unternehmen in seine Einzelteile zu zerbrechen drohte, entdeckte ich schlagartig wieder, was mich im Innersten antrieb. Inmitten von Angst und Zorn entfaltete sich in mir eine Dynamik, die es mir erlaubte, einen erfahrenen Unternehmer wie Herrn Bader zu verstehen und als Kunden zu gewinnen.
Was war das für eine Kraft, die es vermochte, mich innerhalb weniger Minuten von einem Burn-Out gefährdeten Wrack in einen hochmotivierten Verkäufer zu verwandeln? Es war eine Dynamik die mich seit der Gründung meiner Firma und auch heute noch begleitet; als Ursache meiner bisherigen Erfolge und als Erfüllung meiner Wünsche, als ganz persönlicher Wirtschaftsmotor und meine Berufung. Eine Kraft, die ich zwar zwischenzeitlich vergessen, aber nie verloren hatte:
Die bedingungslose Wertschätzung für meine Unternehmer-Kunden, für das was sie tun und wonach sie streben. Und die Freude darüber, mit meiner Firma zum Erfolg ihrer Vorhaben beitragen zu dürfen.